Ein Beispiel aus meiner Praxis

Ein Ehepaar lebt seit 60 Jahren in einer harmonischen Verbindung. Eines Morgens hört der Ehemann beim Abräumen des Frühstücksgeschirrs einen dumpfen Schlag.. Er findet seine Frau leblos am Boden liegen.In wenigen Minuten trifft der Notarzt ein, der seine Frau vor seinen Augen fast eine Stunde reanimiert. Nach Stabilisierung des Kreislaufs wird sie auf die Intensivstation gebracht. Dort stellt sich ein Hirninfarkt heraus, der sofort lysiert -,d.h. mit blutverdünnenden Mitteln behandelt wird. Diese Therapie bleibt ohne Erfolg. Seine Frau hat eine Lähmung der gesamten rechten Seite und kann weder sprechen noch schlucken, so dass sie mit Infusionen behandelt werden muss. Der Stationsarzt bedrängt den Ehemann einer Ernährungssonde zuzustimmen, damit sie in eine Reha-Klinik verlegt werden kann. Der Ehemann stimmt zu, obwohl es eine Patientenverfügung gibt, in der die Patientin handschriftlich erklärt hat, dass sie nie künstlich ernährt werden will, da sie das bei ihrer Mutter erlebt hat.


Die Patientin wird in die Reha verlegt. Sie macht absolut keine Fortschritte und wird ins Krankenhaus zurückverlegt. Dort bemüht man sich um einen Pflegeplatz in einem Altenheim. Der Ehemann ist völlig verzweifelt. Er weiß, dass er gegen den Willen seiner Frau gehandelt hat. Seine Frau ist sehr unruhig und versucht immer wieder, sich die Ernährungssonde zu ziehen, so dass sie fixiert werden muss.
Im Team ist man einstimmig der Meinung, dass die Patientin sich, obwohl sie nicht sprechen kann, gegen die Ernährung wehrt.

 

Der Ehemann ist mit der Entscheidung, die Sonde wieder entfernen zu lassen d.h seine Frau verhungern und verdursten zu lassen, völlig überfordert. Daraufhin wird ein gesetzlicher Betreuer eingesetzt, der den Willen der Patientin durchsetzt. Die Sonde wird gezogen.
Seine Frau lebt noch 2 Wochen. Der Ehemann ist Tag und Nacht bei seiner Frau und kann begleitet durch den Krankenhausseelsorger von ihr Abschied nehmen. Das Team der Palliativstation hilft in dieser Situation nach palliativmedizinischen Richtlinien,so dass die Patientin ohne das Gefühl von Hunger oder Durst in Frieden und Würde sterben darf und kann.

 

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