Der Bundesgerichtshof hat das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durch die PV erheblich gestärkt. Der autonome Patient hat das Recht, eine
ihm angebotene und vielleicht lebenserhaltende ärztliche Therapie abzulehnen.
Der Arzt, das Pflegepersonal, aber auch die Angehörigen oder die Betreuer/Bevollmächtigten sind weitgehend aus ihrer Verantwortung entlassen, wenn die Ablehnung einer Therapie eindeutig formuliert
ist und auf die gegebene Situation zutrifft. Ist die Patientenverfügung aber unklar oder der mutmaßliche Wille nicht eindeutig, ist der Arzt nach wie vor zu ärztlichem Handeln verpflichtet. Er allein
entscheidet, ob es eine medizinische Indikation zu einer Behandlung gibt oder nicht.
Ethikberatung in meiner Praxis bedeutet daher in erster Linie Hilfe bei der Abfassung einer PV, damit diese auch in Zweifelsfällen Anerkennung
findet. Trotz der neuen Richtlinien des Bundesgerichtshofes ist der persönliche Entscheidungsspielraum am Ende des Lebens sehr schmal. Der Tod ist nun mal ein Schicksal und kein Machsal. Das müssen
sich Ärzte, Patienten, Angehörige, Betreuer und Bevollmächtigte immer vor Augen halten. Die Konflikte sind voraussehbar - trotz vorausverfügtem Willen.
Neben der Prävention durch eine gut formulierte PV bietet die ambulante Ethikberatung auch moralische Unterstützung und Hilfe bei Unstimmigkeiten,
Zweifeln oder auch Schuldgefühlen der Hinterbliebenen oder anderen Betroffenen an. Dafür braucht es viel Zeit und eine zusätzliche Ausbildung in Medizinethik. Durch meine Unterstützung als
Ethikberaterin sollten sowohl der behandelnde Arzt als auch die Angehörigen und die Pflegenden in der Lage sein, den Willen des Patienten gegen ihre eigenen moralischen oder ethischen Grundsätze
durchzusetzen.
Zielgruppen einer Ethikberatung sind in erster Linie Patienten und ihre Angehörigen, aber auch Pflegende aus Altenheimen und Sozialstationen sowie
Brückenschwestern und Hospizbegleiter/innen, die eine Unterstützung bei ethischen Problemen wünschen. Das Problem der Ernährung gegen den Willen des Patienten führt am häufigsten zu Unstimmigkeiten
und Verunsicherung.
Gleichzeitig sehe ich meine Aufgabe aber auch in Schulung und Supervision in Altenheimen oder sozialen Einrichtungen
Der demografische Wandel in der Altersstruktur ist eine große gesundheitspolitische Herausforderung.
Es gibt sehr viele alte Menschen, die Angst haben, zum Pflegefall zu werden und dann den Angehörigen zur Last zu fallen. Es geht aber auch um die rasanten Fortschritte in der Medizin, in der fast alles machbar ist. Kaum jemand möchte aber gegen seinen Willen an irgendwelchen Maschinen hängen mit dem Ziel einer sinnlose Lebensverlängerung.
Ein weiterer Grund des zunehmenden Bedarfs an ethischer Beratung ist unser gut funktionierendes Notfallsystem. Der Auftrag des Notarztes ist es schnelle und lebensrettende Maßnahmen einzuleiten. Da
bleibt wenig Zeit, eine Patientenverfügung zu lesen oder sich über die Wertevorstellungen des Patienten auszutauschen. Der Patient wird reanimiert und kommt intubiert und beatmet auf die
Intensivstation, was er aber ausdrücklich nie wollte. Wer hat jetzt den Mut, die Beatmung wieder zu beenden, um den Willen des Patienten durchzusetzen?